Neben Archäologie, antiker Kunst und Klassischer Philologie war die Musik eine weitere große mit Professionalität gepflegte Leidenschaft von James Loeb. Seine Mutter Betty Loeb (geb. Gallenberg) stammte aus einer Mannheimer Musikerfamilie (der Vater war 1. Violinist an der großherzoglichen Kapelle in Mannheim); sie war eine am Pariser Conservatoire zur Konzertreife ausgebildete Pianistin und Geigerin und sorgte für ein reichhaltiges und qualitätvolles Musikleben im Hause Loeb in Cincinnati, später New York, mit regelmäßigen, von Familienmitgliedern (ohne den Vater) und Gästen gestalteten Kammermusikmatineen.
James Loeb erhielt früh Unterricht auf Violoncello (als Hauptinstrument), Klavier und Orgel und war, nach dem Zeugnis seines Neffen James Paul Warburg, der einzige unter seinen Geschwistern mit wirklichem musikalischem Talent. Zeitlebens ein excellenter Cellist und ein kaum minder versierter Pianist, war er frühzeitig und auch noch lange nach seiner Übersiedlung nach Deutschland im öffentlichen Musikleben seiner amerikanischen Heimat engagiert. Bekannt sind seine Verdienste um die Gründung des Institute of Musical Art (zusammen mit Frank Damrosch) und die Erhaltung des Nachfolgeinstituts, der später weltberühmten Juillard School of Music.
In München unterhielt Loeb einen niveauvollen musikalischen Salon. In regelmäßigen Kammermusikmatineen übernahm er besonders gerne den Cellopart in den Streichquartetten von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, die er besonders liebte. Aber auch die damals zeitgenössische Musikszene war ihm vertraut: die Komponisten Max Reger, Hans Pfitzner, Richard Strauss und sogar Gustav Mahler, dessen Symphonien er gehört und bewundert hat, sollen in seinem Münchener Stadthaus zu Gast gewesen sein. Später in Murnau war ihm regelmäßiges Musizieren im Ensemble oder (allein) am Klavier immer wieder eine Quelle seelischer Regeneration nach oftmals jahrelangen Phasen depressiver Inaktivität.
James Loeb war als Pianist und Violoncellist zeitlebens ein exzellenter Musiker. 50 Jahre lang galt seine Musikaliensammlung als verschollen, nachdem seine Bibliothek in Murnau aufgelöst war. In der Musikabteilung der Neuen Stadtbücherei Augsburg wurde ein bedeutender Teil davon wieder entdeckt.
Die Neue Stadtbücherei Augsburg und die James Loeb Gesellschaft e.V. zeigten 2012/2013 erstmalig eine Auswahl der einst reichhaltigen Notensammlung von James Loeb. Seltene Musikdrucke der Spätromantik geben Einblick in einen der glanzvollen großbürgerlichen Musiksalons der USA um 1900.
Bestand
James Loebs reichhaltige Bibliothek blieb nach seinem Tode in der Murnauer Villa über den II. Weltkrieg hinweg bis in die 1950er Jahre hinein weitgehend vollständig erhalten. Ein 1946 unter Aufsicht der amerikanischen Besatzung erstelltes Verzeichnis listet unter den rd. 10.000 Bänden archäologischer, kunsthistorischer, philologischer, philosophischer, landwirtschaftlicher und belletristischer Literatur auch 213 Notenbände sowie 163 Bände musikwissenschaftlicher Fachliteratur auf. Die gesamte Bibliothek wurde 1960 für den Umbau des Bibliothekssaals zu einer Kapelle für das Erholungsheim aufgelöst und größtenteils über ein Bonner Antiquariat verkauft, somit „in alle Winde zerstreut“. Auch die Musikalien galten seither als verschollen.
Ein bedeutender Teil davon ist in Augsburg wiederentdeckt worden. 95 Notenbände, also fast die Hälfte der ehemaligen Loebschen Musikaliensammlung, befinden sich seit Jahrzehnten im Besitz der Musikbibliothek an der Stadtbücherei Augsburg.
Die damalige Städt. Volksbücherei Augsburg erwarb den Notenbestand im Frühjahr 1961, also kurz nach der Auflösung der Loebschen Bibliothek, vom Augsburger Musikhaus Anton Boehm & Sohn, das auch einen katholischen Kirchenmusikverlag führt; dorthin waren die Notenbände wohl über die Diözese Augsburg gelangt – offenbar ohne die entscheidenden Hintergrundinformationen über die Herkunft des Bestands. So wurden die Bände zunächst „inkognito“ für Jahrzehnte in die gewöhnlichen ausleihbaren Notenbestände der städtischen Musikbibliothek integriert.
Die großformatigen, in Schwarz mit Goldprägung gebundenen Bände und Schuber enthalten überwiegend Musikdrucke aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, darunter einige wertvolle Erstausgaben von Kammermusikwerken der Komponisten Brahms, Dvořák, Tschaikowsky, Rimsky-Korsakow, Richard Strauss u.a. sowie viele weitere kammermusikalische Raritäten in seltenen, frühen Ausgaben.
Loeb hat sich jedoch auf diesem Gebiet (Notendrucke) eindeutig nicht als bibliophiler Sammler betätigt, sondern ist (ungeachtet seines sicheren Gespürs für Qualität und historischen Wert) beim Erwerb und der Pflege seiner Musikaliensammlung eher nach musizierpraktischen Gesichtspunkten vorgegangen: Werke gleicher Besetzung sind zu ganzen Konvoluten zusammengebunden, und mit der Zeit wertvoll gewordene Drucke finden sich dort neben schlichten (z. T. noch heute verkauften) Allerweltsausgaben. Die Musikaliensammlung zählte ganz offensichtlich nicht zu seiner offiziellen Gelehrtenbibliothek, sondern hatte, ihrer Herkunft und ihrer Zweckbestimmung nach, rein privaten Charakter: kein einziger Notenband enthält sein Exlibris mit dem bekannten Wahlspruch „Opes adipiscendae ut dignis largiamur“, viele tragen dagegen seine persönliche Unterschrift. Einige Bände – wenn nicht der überwiegende Teil des Bestands! – könnten noch aus der (mütterlichen) Musikaliensammlung im Loebschen Elternhaus stammen. Stilvoll im Geschmack des späten 19. Jahrhundertes ornamentierte Einbände (Beispiel 2) sowie Lizenzstempel amerikanischer Vertretungen deutscher Musikverlage (z. B. Schirmer, Beispiel 3) in einigen alten Ausgaben lassen dies vermuten.
Ungeachtet Loebs Vorliebe für die Streichquartette der Wiener Klassiker (s.o.) liegt der Schwerpunkt des Augsburger Bestands, aber auch der Loebschen Kammermusiksammlung insgesamt, eindeutig auf Kammermusik für Streicher mit Klavier und hier einerseits auf Komponisten der Generation ca. 1830-1840 (Brahms, Dvořák, Tschaikowsky etc.) die in Loebs jungen Jahren auch in Amerika zu den etablierten und führenden Musikgrößen zählten (u.a. dank der transatlantischen Präsenz ihrer europäischen Verleger), andererseits auf einem spezifisch deutschen, in den bürgerlichen Salons des späten 19. Jahrhunderts gepflegten und heute großteils nicht mehr geläufigen Repertoire, war also eindeutig von Musikgeschmack der mütterlichen Familientradition geprägt.
Die Musikalien der Bibliothek Loeb an der Stadtbücherei Augsburg sind, als ein musik- und kulturgeschichtlicher Schatz ersten Ranges, heute dem gewöhnlichen Ausleihverkehr entzogen. Sie sollen aber künftig wieder in der Öffentlichkeit wirken: in Form von Ausstellungen und Konzerten u. a. in Zusammenarbeit mit der James Loeb Gesellschaft e. V. – also ganz im Sinne James Loebs, der in der Musik immer Trost und Linderung seines Leidens gefunden hat, für einen wohltätigen Zweck.
Dr. Robert Forster
Stadtbücherei Augsburg - Musikbücherei
Ernst-Reuter-Platz 1
86150 Augsburg
Tel. +49/821/324-2754
E-Mail: musikbuecherei@augsburg.de
www.stadtbuecherei.augsburg.de
Der Ausstellungskatalog ist bei der James Loeb Gesellschaft e.V. erhältlich (EUR 20,00 + Versand) und kann per E-Mail bestellt werden: info@jamesloeb.de
Musikabend in der James Loeb Villa mit Annemarie und Max Speermann aus Murnau, Bernd Gellermann aus Garmisch-Partenkirchen und dem jungen japanischen Musikstudenten Tsuyoshi Yamauchi